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3 Jahrzehnte Groundhopping - mit Fump

Der Autor von "Was wollt' ich noch gleich in Waldiwostok?" ist wieder da. Und berichtet von Groundhopping-Problematiken aus der Zeit vor dem Internet...

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Ostseechaostour 1995 - Einmal um die ganze Ostsee Teil 4

01.02.1970

Sa., 24.6.1995, Borussia Mönchengladbach – VfL Wolfsburg 3:0, 75.700 Zuschauer Die Anfahrt der anderen 75.698 Zuschauer lief sicher deutlich entspannter ab – da widerspricht niemand – die Glücklichen! Lupat, Hammer und ich einigten uns auf ein argentinisches Steakhouse unweit des Parkplatzes. Wir lechzten nach einem warmen Stück Fleisch und einer Halben dazu. Wir schauten uns, körperlich völlig am Ende, eine Weile schweigend an und starteten die Analyse der verbockten Tour. Was war schiefgelaufen? Das Steak hauchte uns wieder ein wenig Leben ein, nach hektoliterweise Suff, Fastfood und kaum Schlaf – es gibt gesündere Lebensweisen. Nach dem Spiel ließen wir uns ordentlich Zeit mit der Rückfahrt, denn es wartete kein Spiel am Sonntag, wofür wir erneut 500, 800 oder sogar 1000 km hätten hetzen müssen. Die vierte Auto-Nachtfahrt in sieben Tagen stand an – alleine beim Gedanken daran schauere ich in diesem Moment. Sonntagsmorgens erreichten wir irgendwann wieder Remscheid, Captain freute sich garantiert auf seine Zugheimfahrt und Hammer auf sein Bett. Zwei Stunden später trennten sich die weiteren Wege, die letzten Kilometer meiner Mitstreiter führten nach Südhessen oder in die Vorderpfalz und ich blieb nachdenklich in Rheinhessen an diesem Sonntagmorgen. Lupat traf den Captain einige Wochen später – die Saison 1995/1996 startete gerade – wieder. Unser Wattenscheider erklärte die Tour zum absoluten Karriere-Negativ-Höhepunkt schlechthin. Damit traf er den Nagel sicher auf den Kopf, auch wenn natürlich jeder Groundhopper seinen eigenen Tiefschlag irgendwann irgendwo erlebt und jede Verarbeitung fällt anders aus. Dennoch geriet diese Pannentour bald schon in Vergessenheit, da der Bericht dazu in keinem Fan-Zine auftaucht und das E-Mail-Internet-Zeitalter erst in ein paar Jahren durchstartete. Wir hatten unsere Fanzine-Karriere längst an den Nagel gehängt und selbst das langlebige „Captains Dinner“ pausierte zu dieser Zeit eine Weile. Diese 7-Tage-Tour geriet im Laufe der Zeit ein wenig in Vergessenheit, und erst durch die eigene Recherche von früheren Spielen – mir fehlen vor dem 01.01.98 die exakten Spielpaarungen meiner Grounds – stieß ich wieder auf diesen vergessenen „Schatz“. Überwog die Verdrängung des Negativen? Nicht unbedingt, wir machten im Prinzip nur einen gravierenden Fehler, nach dem Pokalendspiel in Estland nicht noch 200 oder 250 km nach Lettland reinzufahren, um dort in einem Motel zu übernachten. So wäre die Tour glatt gelaufen und wir auch pünktlich in Klaipeda eingetroffen. Statt einer „ausreichend“ als Note, gab es eben nur ein „Mangelhaft“ stattdessen. Ich sah es sportlich positiv, denn wir lernten Mitte der 90iger Jahre ja immer noch dazu, auch wenn kein Hopper das zugeben würde. Die Perfektion des Groundhoppings – aus meiner Sicht betrachtet – sollte erst in den 2010er Jahren erreicht werden. Wir mussten dieses Lehrgeld einfach weiter abbezahlen. Montags erschien ich wieder auf meiner Arbeitsstelle. Die Mitarbeiter und Kunden fragten nur, wie mein Urlaub an der Ostsee war? „Och, ganz gut.“ stammelte ich und bereitete mich auf weitere Fragen bezüglich der Region vor. Die Frage, ob ich den Timmendorfer Strand, Rügen oder Warnemünde bevorzugte, stellte niemand – es war auch besser so. Was hätte ich diesen Menschen schon groß erzählen sollen? Die Wahrheit ganz sicher nicht.

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Ostseechaostour 1995 - Einmal um die ganze Ostsee Teil 3

01.02.1970

Do., 22.6.1995: Flora Tallinn – FC Lantana-Marlekor Tallinn 2:0, 600 Zuschauer (Verpasst: Skonto – DAG/Liepaja 3:0, 2.450 Zuschauer) Das Objekt der Begierde hieß Kadrioru-Stadion und lag 1,5 km östlich des Hotels und wir durften während unseres Fußmarsches aufatmen: Unterwegs lief uns der 20köpfige Flora-Mob in die Arme. Das Spiel fand tatsächlich statt – man weiß ja nie in den Ländern! Mehr brauchten wir nicht an Erfolgen für den Moment. Die Zuschauerzahl blieb natürlich überschaubar und weitere Fans, die es mit dem 1999 aufgelösten FC Lantana-Marlekor auch optisch hielten, blieben Fehlanzeige. Irgendein russischstämmiger Millionär leistete sich den Verein vorübergehend als Zeitvertreib. Estland ist eben kein Fußballland und sie beherrschen nebenbei kein Basketball wie Litauen oder die Kunst des Eishockeys wie die Letten. Der Ground dürfte sich seit 1995 kaum verändert haben. Eine Tribüne und eine kleine Gegengerade, damals aus Stufen bestehend, heutzutage mit Sitzschalen ausgestattet. Wir saßen irgendwo zufrieden auf der Gegengerade und verfolgten den eher mäßigen Kick. Glücklich steuerten wir ein Volksfest in einem der vielen gepflegten Parkanlagen an, wo wir erneut übelst versackten, um unsere notwendige Hopper-Professionalität erneut zu vernachlässigen. Das trinkfeste Trio verlor zwischendurch etwas Spielgeld an die aufgebrachte Polizei. 10 DM für einmal ins Gebüsch urinieren blieben erträglich, aber in Ex-Sowjet-Ländern blieb damals Vorsicht geboten bei Verstößen. Wir näherten uns zu diesem Zeitpunkt abermals einem Zustand „voll bis Oberkante Unterlippe“. Wir sollten diesen Fehler, nicht zeitig das Hotel aufzusuchen, morgen richtig teuer bezahlen. Die Frischgezapften kosteten wenig und schmeckten überraschend gut – was können wir schon dafür, es uns gut gehen zu lassen? Fünf Leute benötigten am nächsten Morgen eine Ewigkeit im Bad, fünf Reisende brauchten sehr lange für das Frühstück, fünf Mann laden anschließend ordentlich ab. Fünf Hopper sind eigentlich zu viel für einen Opel Astra. Wenig überraschend verzögerte sich die Abfahrt in die Länge, aber wir starteten eine Stunde später gegen 10 Uhr. Damals galt Tempo 80 auf Landstraßen und selbst in den 2020er Jahren existiert zwischen Tallinn und Riga keine richtige Autobahn. Wir erkannten langsam, aber sicher ein Problem: Zu viele Kilometer oder wenig Zeit für das nächste Spiel, aber wir nahmen die Herausforderung dankbar an. Alkohol verboten wir uns selbst, genauso wie Pinkelpausen und wir lagen bis Riga top in der Zeit. Selbst die erste Grenzprozedur dauerte nur wenige Minuten, um Lettland zu erreichen. Uns blieben 4 ½ Stunden für 300 km und durch die letzten 100 km Autobahn für den Endspurt, sahen wir uns bereits auf der Siegerstraße. Riga brach uns das Genick – besser formuliert, die lettische Straßenbeschilderung. Sicher spielte eine gewisse Unfähigkeit von fünf erwachsenen Groundhopper eine kleinere Rolle, trotz Kartenmaterial und natürlich lateinischer Schrift auf der Schildern. Wir fanden den Weg nach Klaipeda einfach nicht und irrten zwei Stunden durch Riga und Umgebung. Irgendwer schlug noch vor, 22 Leute von den Straßen zu klauben und auf einem zufällig entdeckten, natürlich verwaisten Sportplatz für 2 x 45 Minuten ein Spiel auszutragen. Ich denke da anders: Wenn man verloren hat, muss man das einfach akzeptieren – heute wurde kein Länderpunkt Lettland eingesackt – Punkt! Verpasst: Fr., 23.6.1995, 18 Uhr, Cup-Final Litauen, in Klaipeda, Inkaras-Grifas Kaunas – Zalgiris Vilnius 2:1, 1000 Zuschauer Sicher ärgerten wir uns über diesen Moment irgendwo im Baltikum stehend und die Schuldzuweisungen starteten vehement. Dennoch lag der Plan im Unterbewusstsein schon parat, hier in einigen Jahren nochmals aufzukreuzen, um nicht nur für den Länderpunkt anzureisen. Irgendwann fanden wir den benötigten Weg nach Süden in Richtung Litauen und leider zu viel spät den Abzweig nach Klaipeda, während es uns Richtung Polen zog. Ein Blick auf die Landkarte reichte: Selbst das Pokalfinale in Berlin blieb nur durch eine stramme Fahrt über gut 1.000 km, wieder fast ohne Autobahnen, pünktlich erreichbar. Am Stadtausgang von Marijampole verloren wir einen weiteren Zehner durch die berühmte Laserpistole – 2 DM Strafe für jeden folgten, es gibt Schlimmeres im Leben. An der Grenze verloren wir weitere zwei Stunden und irgendwann im Morgengrauen saßen wir völlig übermüdet, langsam hungrig, weiter gegen die Zeit fahrend und in einem Opel Astra eingepfercht wie ein Stück Vieh und Brecki fuhr, fuhr und fuhr. Über volle Landstraßen zog sich die Fahrt schier endlos weiter – wir brauchten einfach eine Pause, um unsere Kräfte neu zu sammeln. Ein Blick auf die Landkarte verhieß weiterhin wenig Gutes: 600 km Strecke standen erneut nur noch 8 Stunden Zeit gegenüber – langsam kotzte mich die Fahrt an. Brecki machten wir keinen Vorwurf, welch ein Respekt für seine Leistung, die Tour alleine durchzufahren. Seine damals gefährdete Serie hielt noch bis zum 08. März 2020, Eff-Zeh und Gladbach-Fans dürften diesen Tag niemals im Leben mehr vergessen. So übernahm ich als polenerprobter Fahrer freiwillig das Steuer und hetzte gegen die Uhr fahrend, einige Verkehrsregeln außer Kraft setzend, in Richtung Westen. Wir blieben überraschend ohne irgendwelche Strafen durch die damals noch sehr korrupte polnische Polizei. Nur beim Tanken und Zahlen mit dem 100DM-Schein gab man Brecki wohl „etwas zu wenig“ raus – statt 60 DM gab es nur 6 DM in Zloty zurück. Die Fahrerei der 90iger und in den frühen 2000er Jahre in Polen blieben ein wahrer Genuss. Diese für uns westlichen Wohlstandsjünglinge anarchisch anmutende Fahrweise, dieses System auf engen Straßen, dem größeren und stärkeren Fahrzeug Platz zu machen, der sich dafür mit einem Warnblinker freundlich bedankt. Ein liebevolles Chaos, was mich zu dieser Zeit genauso wie die einmalige Fanszene mehrmals im Jahr nach Polen lockte. Überschritt ich die Grenze, war ich im Element, mich umgehend anzupassen. Die Grenze bei Frankfurt/Oder entschied letztlich zu unseren Gunsten, dass wir das Pokalendspiel einigermaßen pünktlich erreichten. Mehr als eine halbe Stunde durften wir nicht verlieren. Nach 25 Minuten überschritten wir die Grenze und heizten Richtung Berlin. Uns kam zugute, daß wir kurz vor dem Anpfiff wirklich freie Bahn bis zum Olympiastadion hatten – die „normalen“ Zuschauer saßen längst im Stadion. Brecki und der Captain rannten ohne Verabschiedung weg – die typische Hopperunsitte schlechthin. Wenn es hart auf hart kommt, lässt dich der Rest der Mitfahrer im Stich und kurz vor einem Anpfiff, mit stressiger Anreise, trennt sich die Spreu vom Weizen. Wir riefen den beiden den Abladeplatz als Treffpunkt zu. Die Kontrolle der Schwarzmarktpreise blieb halbherzig, aber als die ersten beiden zwielichtigen Typen was von 100 DM faselten, verzichteten wir auf weitere Versuche. Wen interessiert schon MG vs. WOB, außer Fans der Vereine?

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Ostseechaostour 1995 - Einmal um die ganze Ostsee Teil 2

01.02.1970

Die Sorgenfalten beim Fahrer und Captain waren nicht mehr zu übersehen, während „unser“ Promillestand den Ernst der Lage eindrucksvoll vernebelte. Nach 36 Stunden Fahrt am Stück und einer Nacht im Opel Astra nahmen wir dankbar unsere beiden Kabinen in Beschlag. Vernünftig wäre vermutlich ein früher Gang ins Bett an diesem Dienstagabend gewesen, doch wir verfolgten nach der sehenswerten Abfahrt durch die „Schären von Stockholm“ deutlich andere Ziele. Die erste halbe Stunde blieb mir noch im Gedächtnis, die ganzen Inseln vom Sonnendeck aus zu erhaschen. Aufgrund einer zollgünstigen Regelung für Alkohol kostete die Halbe umgerechnet nur 3,00 DM, gerechnet hatten wir mindestens mit dem doppelten Preis. Obwohl wir völlig im Arsch waren, hoben wir die Tassen weiter hoch, kaum zu glauben. Im Alter von 25 Jahren schien meine Physis diesen Umständen noch gewachsen und im Laufe meiner Evolution, später völlig undenkbar. Diskussionen und Unterhaltungen mit diversen Schweden und wesentlich netteren Schwedinnen folgten schon bald, während der Biernachschub nicht ausblieb. Die ganze Fähre soff, was das Zeug hielt, während Brecki und der Captain früher die Falle aufsuchten – sicher vernünftig. Wir Drei trieben es derweil auf den Höhepunkt, aber wir feierten, als gäbe es keinen Morgen. Ich versuchte krampfhaft auf der Tanzfläche eine gute Figur abzugeben – leider vergeblich. Nur meine breitbeinige Haltung verhinderte einen schmerzhaften Absturz auf den Boden. So bewegte ich mich in Joe Cocker-Gedächtnis-Haltung in Zeitlupe weiter. Leider existieren keine youtube-Videos von diesen Szenen – Man, was waren wir alle voll. Hammer und Lupat schafften es noch in die gebuchte Kabine, während ich irgendwo in einem gemütlichen Sessel in Nähe der Tür zusammenbrach und einschlief. Morgens wurden die ganzen Exzesse von abends deutlich – mein Schädel brummte nicht zum ersten Mal und wo zum Geier war die Kabine? Zu spät, kurze Zeit später, um 7.30 Uhr erreichten wir am Mittwochmorgen endlich Turku. Erstmals nach drei Tagen Fahrt holte einer unserer Truppe bereits das Fährticket von Helsinki nach Tallinn – endlich mal ein richtiger Geistesblitz und ein Hauch von Weitsicht, die leider erst zwei Jahrzehnte später zur absoluten Routine wurde. Immerhin lernten wir gelegentlich bereits damals aus unseren Fehlern. Glück im Unglück für uns, daß die Veikkausliga einen Spieltag als Lettland-Ersatz parat hielten. Wir griffen dankbar zu: Bitte einmal nach Tampere zum Ersatzländerpunkt. Wie ging dieser verdammt geniale Hammer-Satz, meist zeitgleich rauchend und biertrinkend: „Es wird eh alles komplett gemacht!“ Da hatten wir keine Alternative, auch wenn der Ein oder andere unseres Quintetts den Länderpunkt Finnland bereits sein Eigen nannte. Wir genossen die Zeit in Tampere nach der zweistündigen Anfahrt außerhalb des Astras zumeist und prüften die überhohen Bierpreise. Der dritte Tag der Reise lief endlich einmal sehr planmäßig und wir erreichten lange vor dem Anpfiff um 18.30 Uhr den Spielort. Mittwoch, 21.6.1995: FC Ilves Tampere – HJK Helsinki 1:1, 2.000 Zuschauer Wir ließen uns wenig überraschend auf der sogenannten Koff-Koff-Tribüne, nach der gleichnamigen Brauerei benannt, nieder. Bereits vor einem Vierteljahrhundert wiesen die Finnen dem trinkwilligen Zuschauer einen sehr kleinen abgetrennten Bereich zu. Natürlich sprachen wir dem Koff, trotz der gesalzenen Preise, weiter zu – man lebt nur einmal. Der Sprit ging eh durch Fünf und Spritpreise von damals schonten den Geldbeutel sehr. Der gemeine Ultra von morgen ging natürlich auch in Finnland noch zur Schule damals – fanmäßig blieb alles überschaubar und richtige Gästefans aus der Hauptstadt reisten keine an. Nach dem Kick steuerten wir direkt die mittlerweile abgerissene Jugendherberge neben dem Olympiastadion von Helsinki an und für weitere Alkohol-Exzesse waren wir einfach zu fertig und wir blieben ausnahmsweise einmal vernünftig. Pünktlich verließen wir am nächsten Morgen unser Domizil und fuhren bereits Richtung Fährhafen. Dann folgte ein weiterer Auftritt von mir: Das Fährticket lag noch auf dem Zimmer – Meister Fump als zuständiger Sachbearbeiter hatte schön geschlafen, einmal zurück zur Jugendherberge bitte. Der Zeitpuffer schmolz bedenklich – proportional schwoll das Konfliktpotential immer weiter an, als wir die Fähre gerade so erreichten. Captain hatte Hunger und wollte noch schnell einen Imbiss aufsuchen, was Hammer aufgrund der akuten Zeitnot zurecht verbot. Im Laufe der folgenden Diskussion flogen fast flogen die Fäuste. Machen wir uns nichts vor: 72 Stunden auf teils engsten Raum, dazu fünf nicht ganz einfache Charaktere an Bord, strengten alle Beteiligten an und irgendwann brannte die Luft. Mir ist bis heute unklar, wie verschiedenste „schwierige Charakter“ (Viele Freunde der Bewegung gehören in die Kategorie „Schwierig“!), die sich ständig anschreien, in Streitereien verfallen, sich schlagen, dauernd „Dinge“ verlieren oder vergessen, zu spät anreisen – und dennoch weiterhin in den 2020er Jahren noch zusammenfahren.1995 tickten die Uhren natürlich noch etwas anders und wir lernten fleißig aus unseren Fehlern – einige Hopper zumindest. Zu fünft in einem Fahrzeug, wenn ich fuhr, lehnte ich schon einige Zeit vorher konsequent ab. Das Hoppen soll ja Spaß bereiten. Wir erreichten die Fähre wenige Minuten vor Ende der Check-In-Modalitäten und kühlten unsere aufgestauten Emotionen während der dreistündigen Fahrt wieder auf Normalnull. Um 13 Uhr, fünf Stunden vor Spielbeginn, legte die Fähre in Tallinn pünktlich an. Das Hotel Viru lag unweit des Fährhafens, direkt neben der Altstadt. Dieser Laden – im schicken Ex-Sowjet-Style gehalten – galt damals als Hauptanlaufstelle für ausländische Touristen, wenig überraschend meist Finnen aus Helsinki. Die Esten nennen ihre trinkfreudigen Nachbarn etwas verächtlich, aber dennoch liebevoll „Elche“. Ein kurzer Streifzug durch die damals bereits sehr sehenswerte Altstadt folgte – damals noch ohne die üblichen Touristenschwämme, heute nahezu undenkbar. Endlich stand der nächste Kick an und das zweite Spiel in Folge ließ die Laune wieder steigen. Gib dem gemeinen Hopper einfach genügend Spiele und er ward zufrieden.

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Ostseechaostour 1995 - Einmal um die ganze Ostsee Teil 1

01.02.1970

Es gibt sie überall auf der Welt verstreut, die berühmten „Lost Grounds“, optisch seit vielen Jahren vor sich hin verrottende Betonstufen. Diese beliebten Fotomotive wurden längst von der Natur zurückerobert. Dann gibt es sogenannte „Lost Places“ – meist alte Fabrikgebäude und in der Regel von einer üppigen Vegetation überwuchert. Was zum Henker sind „Lost Tours“? Ganz einfach, in Vergessenheit geratene Reisen über die wir, aufgrund der mageren Groundausbeute, ungerne reden. Dieser Bericht handelt von einer dieser etwas suboptimal verlaufenden Geschichte. Selbst in meinem ganz brauchbaren Langzeitgedächtnis verstaubte dieser Klassiker aus dem Jahr 1995 vor sich hin. Silvester 2020 und 2021 weilten „Lupat“ und „Brecki“ zu einer kleinen Revival-Feier bei mir zu Gast. Wenig überraschend wurde sehr lautstark alter Seemannsgarn gesponnen – teilweise sehr lautstark zum Leidwesen meiner Frau – und diverse Groundhopping-Tour-Klassiker aus vergangenen Jahrzehnten wurden ausgegraben. Genug verstrahlte Persönlichkeiten gibt es ja in unserer Bewegung – uns Drei selbstverständlich eingeschlossen. Das folgende „Sieben Tage-Martyrium“ flog seit 25 Jahren unter dem Radar, stellten wir 3/5 der Besatzung einer legendären Fahrt. Erst durchs Pinis Vorschlag, ein Groundhopping-Buch über drei Jahrzehnte in Arbeit zu nehmen, stieß ich auf diese vergessene Perle. „Das DSF müsste diese Groundhopping-Tour 24 Stunden Tag und Nacht live ausstrahlen.“ Dieses Zitat stammte von Lutz „Badger“ Dexheimer, ehemaliger Herausgeber der „Badgers News“, ein Fanzine der Anfangszeiten. Während der Halbzeitpause des FCK-Heimspiels gegen den 1. FC Köln, zwei Tage vor Abfahrt, fiel seine Reaktion sehr bedenklich aus – wie verrückt wir sein müssen. Er kannte vier der fünf beteiligten Hopper und sollte sowas von Recht behalten. Die Konstellation und die Spiele der Tour: Mittwoch, 21. Juni 1995, Pokalendspiel Lettland Donnerstag, 22. Juni 1195, Pokalendspiel Estland Freitag, 23. Juni1995, Pokalendspiel Litauen Samstag, 24. Juni 1995, DFB-Pokal-Endspiel Borussia Mönchengladbach – VfL Wolfsburg Eine der sicher beklopptesten Touren aller Zeiten beginnt an einem Montag, dem 19. Juni 1995, sehr früh morgens. Schon, dass wir erst montags zu dieser über 4.000 km langen Autofahrt aufbrachen, zeigte die Details des Plans sehr deutlich: Diese Tour stand unter keinem guten Stern. Wir besuchten wenige Stunden zuvor die Spiele unserer Stammvereine: Captains SG Wattenscheid 09 verlor gegen den SV Meppen tags zuvor. Der dicke Hammer blieb gewohnt unterklassig aktiv. Immerhin stöberte er die Ansetzungen im Baltikum auf und wir legten die Autobesatzung sehr rasch fest. Lupat (Betreiber des Qualitätsfahrer-Blog) trudelte pünktlich bei mir ein. Brecki (langjähriger Gladbach-Allesfahrer) stellte seinen Opel Astra und sich selbst als Fahrer zur Verfügung. Davor ziehe ich immer wieder den Hut, ein Fahrzeug für eine absolute Terrortour zu stellen. Mitfahren wollen immer alle, aber ein echter Roadmovie-Freak kann wohl nicht anders, da kann ich ein Lied von singen. Brecki knackte mit seinem Astra irgendwann die ¾ Millionen Kilometer-Marke, die nur von Hammer später überboten wurde. Wer sonst sollte die Million an Kilometer knapp verpassen? Ich schaffte einmal 580.000 km mit einem Golf Kombi als Rekord. Wir trafen uns im Bonner Botschaftsviertel, um das Quintett zu vervollständigten. Keine Stunde später hielten wir das gemeinsame Visum für Estland, Lettland und Litauen in den Pfoten und die Reise ins Ungewisse startete am späten Montagvormittag. Es gab nur eine wichtige Aufgabe der vier Mitfahrer: Dem Fahrer ordentlich Honig um das Maul zu schmieren, denn alle halbe Stunde fiel ein bedenklicher Satz: „Am liebsten würde ich jetzt wieder heimfahren.“ Was war vorgefallen? Nun, dazu muss der Leser folgendes wissen: Brecki ist ein gutmütiges Wesen, das wirklich jeden Tag Fußball braucht, um völlig glücklich und zufrieden zu sein. An diesem Montag blieb der Weg nach Schweden einfach zu weit, um selbst in Malmö irgendeinen unterklassigen Kick pünktlich zu erreichen. Unser Captain mit dem größten Volumen an Körperfülle nahm den Beifahrerplatz ein – als einziger Führerscheinloser versteht sich. Halb so wild, Lupat, Hammer und ich übernahmen ein übliches Prozedere der gefürchteten neunziger Jahre: Wie heißt und hieß es im Hopper-Genre praktischerweise – es wurde massig Alk vernichtet. Dem ist wenig hinzuzufügen. Natürlich gab es Mitte der 90iger Jahre keine Mobiltelefone, keine WWW-Unterstützung und Informationen über Spielansetzungen waren im Ausland eher rar gesät. Startete deine Tour, warst du buchstäblich auf dich alleine gestellt. Brecki ziehst du wie den berühmten Duracell-Hasen am Rücken einmal auf, dann fährt er locker eine Nacht durch – oder auch gleich zwei - kein Problem für ihn. Um diese Fähigkeit beneidete ich ihn durchaus. Ich schaffte nur ein einziges Mal in meiner Hopperkarriere eine komplette Nachtdurchfahrt – mit einem halben Dutzend Kaffee-Pausen durchzogen. Aktuell bei Tageslicht hieß unser primäres Ziel, einmal bitte die A 1 komplett durcheiern. Die Anreise via Dänemark brachte auf den Fähren ein wenig Entspannung, denn die Enge während der Fahrt störte schon erheblich. Die Fähren Puttgarden – Rodby und Helsingör - Helsingborg, lange bevor die Öresundbrücke erbaut wurde, passierten wir jeweils nachts, um wenigstens etwas Schlaf einzufordern. Zu fünft im Opel Astra zu sitzen, zehrte mit der Zeit am Nervenkostüm unseres Quintetts. Warum wir eigentlich nicht über Polen ins Balitkum fuhren? Es lag an den ewig langen Grenzstaus, lange vor den später reisefreundlichen EU-Zeiten, auf dem Weg nach Polen und der weitere Weg nach Litauen blieb ebenso stauträchtig. Die schlechteren Straßenverhältnisse im damaligen Osteuropa erleichterten uns, eine Anfahrt via Schweden zu fällen. Der Ablauf blieb auch Dienstag immerzu gleich: Brecki fuhr, Captain übernahm durch seine Extrovertiertheit meistens das Entertainment, während das trinkende Trio auf dem Rücksitz, bestens mit Bierdosen versorgt, bei guter Laune blieb. Die DSF-Moderatoren hätten während einer imaginären Übertragung diese Autofahrt ihre wahre Freude an unseren Gesprächen gefunden. Dienstagnachmittags erreichten wir endlich Stockholm – nach unendlich vielen Pinkelpausen. Zwischendurch fiel natürlich immer mal eine volle Bierdose um und der Fußraum sah übel vermüllt aus. Während jeder noch so kleinen Bewegung trat dieses metallene Geräusch auf, wenn eine Bierdose zertreten wird. Nach jeder kurzen Pause entsorgten wir ein Dutzend Leergut in den Müll – die Fahrt besaß schon das Flair einer mehrstündigen Auswärtsfahrt von Rostock nach Freiburg. Nach kurzer Zeit roch der Opel Astra – wenig überraschend – wie ein Pumakäfig, kein Wunder bei fünf, sagen wir eher drei ausgewachsenen Pumas auf dem Rücksitz. Dieser Gestank entfachte seine Wirkung, wenn du nach einigen Minuten wieder in den Astra einsteigst, am stärksten. Zwangsweise verzichteten wir heute auf ein Fußballspiel, denn die Fähre legte bereits gegen 19 Uhr ab. Brecki blieb launisch und unzufrieden – der zweite Tag ohne Fußball bereits und eine weitere Hiobsbotschaft sorgte für Kummer: Das lettische Pokalendspiel wurde von Mittwoch auf Donnerstag verlegt.

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